Aktuell kann die Versorgung mit Arzneimitteln in der Schweiz nicht in allen Fällen sichergestellt werden. Trotz bisheriger Massnahmen konnte noch keine Verbesserung erzielt werden. Der Bund prüft nun zusätzliche Massnahmen und erarbeitet Umsetzungsvorschläge.
Versorgungsengpässe mit Arzneimittel nehmen weltweit zu, auch in der Schweiz. Diese Problematik zeigt sich in den steigenden Meldungen bei der Meldestelle für lebenswichtige Humanarzneimittel der wirtschaftlichen Landesversorgung (WL), sowie in Informationen aus Spital- und Kantonsapotheken deutlich.
Überwiegend von Engpässen betroffen sind Arzneimittel mit abgelaufenem Patentschutz. Darunter fallen verschiedene Arzneimittelgruppen. Aus der steigenden Zahl von Meldungen bei der Meldestelle für lebenswichtige Humanarzneimittel der WL zeigt sich, dass es die starken Schmerzmittel (z.B. Opioide), Impfstoffe und Antibiotika besonders stark trifft.
Auch die Medien und die nationale Politik haben das Thema mehrfach aufgegriffen. SRF hat sich unter anderem mit der Problematik der Versorgungssicherheit befasst und ein Video für ein jüngeres Publikum veröffentlicht, in dem erklärt wird, weshalb Arzneimittel fehlen: SRF Kids News - Warum fehlen so viele Medikamente?.
Die Ursachen der Engpässe bei der Arzneimittelversorgung
Die Ursachen und Folgen der Engpässe sind komplex. Sie sind mehrheitlich globalen Ursprungs und haben sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt. Neben den globalen Ursachen gibt es auch Schweiz-spezifische Besonderheiten, die Versorgungsengpässe begünstigen können. Diese Ursachen und Folgen können im Folgenden zusammengefasst werden:
1 Der ökonomische Druck, die Subventionspolitik sowie tiefere Regulierungsvorgaben in Niedriglohnländern führten zur Globalisierung des Pharmasektors.
2 Wichtige Teile der Wertschöpfungsketten, unter anderem die Produktion von zentralen Wirkstoffen, wurden nach Asien (z.B. China und Indien) verlagert.
3 Die Konzentration auf einige wenige anbietende Firmen und somit auch die gegenseitige Abhängigkeit hat stark zugenommen. So werden rund ein Drittel der Wirkstoffe, welche im US-amerikanischen Generikamarkt verwendet werden, nur von einem einzigen Betrieb und ein weiterer Drittel von zwei bis drei Betrieben hergestellt.
4 Moderne Lieferkettenkonzepte wie die Just-in-Time-Belieferung führten zu geringeren Reserven entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Just-in-Time-Produktion und -Lieferung ist eine bedarfssynchrone Produktion, bei der Materialien genau in der Menge und zu dem Zeitpunkt geliefert werden, zu dem sie für die Produktion benötigt werden.
5 Die Ausfall- und Klumpenrisiken der globalen Lieferketten wuchsen, womit sich die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten stark reduzierte. Chinas Null-COVID-Politik während der COVID Pandemie resultierte in einer Schliessung von Produktionsstätten. Da Indien den Grossteil seiner Wirkstoffe aus China bezieht und aus Befürchtungen über eine bevorstehende Knappheit an Wirkstoffen, stoppte Indien während dieser Zeit die Exporte für 26 Arzneimittel, darunter auch das Schmerzmittel Paracetamol, Antibiotika wie Erythromycin, Clindamycin, Metronidazol und das Virostatikum Aciclovir. Dies hallt bis heute nach.
6 Um ein Arzneimittel in der Schweiz auf dem Markt zu bringen, müssen die herstellenden Firmen ihre Produkte gemäss den Schweizer Vorschriften zulassen.
7 Für die global ausgerichtete Pharmaindustrie ist der im internationalen Vergleich kleine Schweizer Markt aus ökonomischen Gründen wenig attraktiv.
8 Die Nachfrage schwankt stark. Der Markt kann aufgrund der genannten Faktoren nicht genügend rasch darauf reagieren.
Um diese Ursachen der Engpässe anzugehen, bedarf es internationaler Lösungen. Dies bedeutet, dass sie in Zusammenarbeit mit anderen Ländern angegangen werden sollten. Die Massnahmen, welche in der Schweiz ergriffen werden können, haben wenig Einfluss auf die globalen Ursachen der Versorgungstörungen. Nationale Massnahmen können jedoch durch bessere Rahmenbedingungen dazu beitragen, effizienter und effektiver auf Versorgungsstörungen zu reagieren.
Was der Bund bisher unternommen hat
Grundsätzlich ist in der Schweiz gemäss dem Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung (Landesversorgungsgesetz, LVG; SR 531) primär die Wirtschaft für die Versorgung der Schweiz mit Arzneimittel (und anderen Gütern) zuständig (Art. 3 LVG). Auf staatlicher Ebene fällt die medizinische Versorgung in den Zuständigkeitsbereich der Kantone. Der Bund nimmt gemäss Bundesverfassung (BV, SR 101) nur in schweren Mangellagen denen die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag, eine subsidiäre Rolle bei der Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern ein (Art. 102 BV). Dennoch hat das BAG gemeinsam mit dem Fachbereich Heilmittel der WL bereits Verschiedenes unternommen, um die Versorgungssituation mit Arzneimitteln zu verbessern.
2006 Der Bundesrat ergriff zum ersten Mal Massnahmen, um die Versorgungssicherheit zu verbessern.
2009 Die erste Etappe der Revision des Heilmittelrechtes (HMG) schuf rechtliche Voraussetzungen, damit die Spitäler die Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln besser sicherstellen können.
2012 Der Bundesrat wurde durch einen Vorstoss des Parlamentes (Postulat Heim 12.3426) beauftragt die Versorgungssituation in der Schweiz zu analysieren.
2015 Die Meldestelle Heilmittel für lebenswichtige Humanarzneimittel der WL wurde in Betrieb genommen.
2016 Im Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Heim 2012 «Sicherheit in der Arzneimittelversorgung» wurden strukturelle und prozessuale Massnahmen für Bund und Kantone vorgeschlagen, um die sichere und geordnete Versorgung mit Arzneimitteln langfristig wirkungsvoll zu verbessern.
2019 Die im Rahmen des Postulats Heim vorgeschlagenen Änderungen traten mit der zweiten Etappe der Revision des HMG im Jahr 2019 in Kraft. Damit ergriff der Bundesrat verschiedenen Massnahmen, um den Handlungsspielraum der Leistungserbringenden Personen zur Sicherstellung der Versorgung der Patientinnen und Patienten zu erweitern. Dazu gehören auch die erweiterten Möglichkeiten zur Eigenherstellung sowie der Import von in der Schweiz nicht verfügbarer Arzneimittel.
2019 Um die bisherigen Massnahmen, die Bund und Kantone ergriffen haben, laufend zu ergänzen, wurde das BAG in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Heilmittel der WL, Swissmedic und der Armeeapotheke beauftragt, die Versorgungsicherheit in der Schweiz erneut zu analysieren und einen Katalog mit Massnahmen zu erstellen.
2022 Der Bericht «Versorgungsengpässe mit Humanarzneimitteln in der Schweiz: Situationsanalyse und zu prüfende Verbesserungsmassnahmen» wurde am 16. Februar 2022 vom Bundesrat zur Kenntnis genommen.
2022 Mit der Veröffentlichung des «BAG-Bericht Arzneimittelversorgungsengpässe» wurde das Departement des Innern EDI (insbesondere das BAG) und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF (insbesondere der Fachbereich Heilmittel der WL) beauftragt, die gelisteten Massnahmen vertieft zu prüfen und konkrete Umsetzungsvorschläge zu erarbeiten. Die Erarbeitung erfolgt gemeinsam mit dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS (insbesondere die Armeeapotheke) sowie unter Einbezug relevanter Stakeholder aus dem Gesundheitswesen.
2023 Der Bundesrat hiess den Antrag des Fachbereich Heilmittel der WL zur Erweiterung der Meldepflicht und zur Digitalisierung des Meldeprozesses und des Monitorings gut. Resultate dieser Vorstudie werden Anfang 2024 erwartet.
Umsetzung des «BAG-Bericht Arzneimittelversorgungsengpässe» von 2022
Um die Versorgung langfristig zu stärken, konkretisiert der Bund (BAG, Fachbereich Heilmittel der WL und VBS/Armeeapotheke) den Massnahmenkatalog aus dem Versorgungsbericht «BAG-Bericht Arzneimittelversorgungsengpässen 2022» und entwickelt konkrete Umsetzungsvorschläge. Hierzu zieht der Bund Stakeholder aus Industrie, Forschung, Leistungserbringende, Verbandsvertreterinnen und -Vertreter und Kantonen bei.
Die Arbeiten gestalten sich vielfältig und werden schrittweise umgesetzt. Die Massnahmen wurden in acht Teilprojekte gegliedert.
Teilprojekt 1
- Das Teilprojekt 1 «Monitoring und Analyse von Versorgungsstörungen» erarbeitete unter der Leitung des Fachbereichs Heilmittel der WL, Umsetzungsvorschläge zu einer Erweiterung der Meldepflicht und zur Digitalisierung des Meldeprozesses und des Monitorings.
- Daraus folgte der Antrag des Fachbereichs Heilmittel der WL an den Bundesrat. Dieser hatte im April 2023 eine Vorstudie zum Umsetzungsvorschlag zu «Erweiterung der Meldepflicht» und der damit erforderlichen Digitalisierung des Meldeprozesses und des Monitorings verabschiedet und die Ressourcen dafür genehmigt.
- Damit wurde der Auftrag zur ersten von 20 Massnahmen «Datengrundlage verbessern» abgeschlossen. In einer Vorstudie erarbeitet der Fachbereich Heilmittel der WL aktuell mögliche Ausbauvarianten, eine Digitalisierung der Melde- und Monitoringprozesse und die damit verbundenen Kosten und Ressourcen. Die Resultate sollen Anfang 2024 dem Bundesrat erneut unterbreitet werden.
- Gegenwärtig werden im Teilprojekt 1 die ökonomischen Auswirkungen von Versorgungsstörungen quantifiziert, was der Massnahme 3 entspricht.
Teilprojekte 2 bis 8
- Die Teilprojekte 2 und 3, sowie 5 bis 8 betreffen Massnahmen zur Klärung der Rollen der verschiedenen Akteure, sowie im Bereich der Lagerhaltung, des Marktzugangs, zu möglichen Anreizen und der Eigenbeschaffung/-herstellung seitens Bund von lebenswichtigen Arzneimitteln. Diese Themen werden mit den Massnahmen 5 bis 18 angegangen.
- Neben der Klärung von Zuständigkeiten ist auch eine verstärkte internationale Vernetzung zentral, welche aus der Massnahme 19 hervorging und in Teilprojekt 4 behandelt wird. In erster Linie ist hier eine enge Zusammenarbeit mit international relevanten Akteuren wie der Europäischen Union (EU) zu prüfen. Allerdings muss die Zusammenarbeit mit der EU in diesem Bereich im Gesamtkontext der bilateralen Beziehungen betrachtet werden.
- Mitte 2024 soll der Bundesrat über die Umsetzungsvorschläge dieser Teilprojekte entscheiden.
Strategie für die Impfstoffversorgung
Die Massnahme zur langfristigen Förderung der Forschung, Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen wird in einem eigenen Projekt bearbeitet und ist die 20. Massnahme aus dem BAG-Bericht Arzneimittelversorgungsengpässen 2022 (Stärkung der Impfstoffforschung und -produktion).
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Weitere Informationen und FAQ finden Sie hier:
Häufig gestellte Fragen (FAQ) im Bereich Arzneimittelversorgung
Letzte Änderung 06.11.2023
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